Fakten & Gedanken: Gas Fracking in der Nordsee.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vergrößern sich die Sorgen in Deutschland und dem Rest Europas im Hinblick auf Gasversorgung. Deutschland hat sich in der Vergangenheit in eine große Abhängigkeit von Russlands Gaslieferungen begeben. Nun wurde die Fördermenge durch Nordstream 1 gedrosselt und Nordstream 2 wurde in Folge des Angriffskrieges nicht in Betrieb genommen. In Deutschland steigt die Sorge, dass man in den kalten Monaten nicht mehr genügend Gas zur Verfügung hat trotz der zu diesem Zeitpunkt zu >75% gefüllten Gasspeicher (Tagesschau, 14.08.2022).
Im Zuge dieser Unsicherheit wird darüber diskutiert, ob man gefundene Gasvorkommen in der Nordsee fracken sollte. Was fracken ist und wie es funktioniert werde ich hier nicht beschreiben. Aber ich hinterlege zumindest zwei Links dazu: Fracking Wikipedia + Fracking Geo.
Fakten:
Ca. 20km vor Borkum in der Nordsee (deutsch-niederländisches Grenzgebiet) schlummern bis zu 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas (Focus, 06.05.2022). Entdeckt wurde dieses Gasfeld (genannt N05-A) bereits 2017. Eine Ausbeutung wurde aber stets abgelehnt aufgrund des zu nahe liegenden Naturschutzgebietes „Niedersächsisches Wattenmeer“. Die niedersächsische Landesregierung strebt nun aber nach einer zügigen Genehmigung das Gasfeld auszubeuten.
Die Bewohner Borkums und Umwelt- und Naturschutzverbände sind gegen diese Bestrebungen und reichen sogar Klage ein (Tagesschau, 15.07.2022).
Wo die geplante Anlage liegen soll, sieht man gut in dieser Broschüre.
Gedanken:
Ich finde dieses Thema grundsätzlich schwierig. Jeder, der sich mal ein wenig mit dem Thema Fracking beschäftigt hat, kennt beispielsweise dieses Video, wo man das Wasser aus dem Wasserhahn „anzünden“ kann. So etwas ist erschreckend. Solche Videos stammen häufig aus den USA. Dort wird Fracking im großen Stil betrieben (NZZ, 02.06.2022).
Auf der anderen Seite, würden wir mit dem eigenen gewonnen Gas die Abhängigkeit von Russland diesbezüglich reduzieren. Hier stellen sich für mich aber zwei Fragen:
1. Wie viel Gas davon können wir fördern?
2. Wann könnte die Förderung beginnen?
Die erste Frage wird hier hinreichend geklärt. Das Gasfeld, über das aktuell gesprochen wird soll ein Fördervolumen von bis zu 13 Milliarden Kubikmeter enthalten. Zum Vergleich: Unsere Gasspeicher in Deutschland fassen ca. 23 Milliarden Kubikmeter. Diese würden bei 100% Füllung ca. 2-3 Monate reichen (vgl. Tagesschau, 19.06.2022, 56% reichen ca. 1 bis 1,5 Monate).
Also wäre die gesamte Fördermenge von dem Gasfeld N05-A nur ca. 56,5% des deutschen Speichervolumens (vorausgesetzt Deutschland würde 100% der Fördermenge bekommen).
Jetzt verweise ich gerne auf statista, die darlegen, dass Deutschland in 2021 ca. 90,5 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht hat. Dann entspricht die Fördermenge von N05-A also ca. 14,4% des jährlichen Verbrauchs Deutschlands (wieder vorausgesetzt Deutschland würde 100% der Fördermenge bekommen). Nicht zu vergessen: Fördern des Gasvorkommens heißt nicht, dass man in zwei Tagen dort das volle Vorkommen abgeschöpft hat. Ganz im Gegenteil: Der Plan der fördernden Firma ONE-Dyas ist, dass man ca. 2 Milliarden Kubikmeter jährlich fördern möchte. Laut Minister Habeck konnte Deutschland die Menge russischen Gases am Gesamtbedarf auf 35% senken seit Kriegsbeginn (Handelsblatt, 27.04.2022). Nehmen wir vereinfacht an, dass Deutschland im Jahr 2022 wieder ca. 90,5 Milliarden Kubikmeter Gas benötigt. Dann entfallen ca. 31,68 Kubikmeter des Bedarfs auf russisches Gas. Wenn nun die anvisierten 2 Milliarden Kubikmeter von ONE-Dyas davon abgezogen würden (vorausgesetzt 100% der Fördermenge geht an Deutschland), reduziert sich der Anteil russischen Gases am Gesamtbedarf um ca. 2,2%.
Meine Gedanken, wenn ich mir die harten Fakten ansehe: Das ist doch sehr wenig, vor allem weil Deutschland sehr wahrscheinlich nicht 100% der Fördermenge bekommen würde. Aber es ist auch nicht gar nichts.
Die zweite Frage ist spannend. Die niederländische Regierung hat schon die Entwicklung des Gasfeldes N05-A genehmigt. Das Unternehmen ONE-Dyas möchte ab 2024 Erdgas aus diesem Feld an deutsche und niederländische Haushalte liefern (siehe Pressemitteilung ONE-Dyas, 02.06.2022). Interessant hierbei ist, dass Niedersachsen nur gegen die Förderung klagen kann. Die geplante Plattform von ONE-Dyas liegt in niederländischen Hoheitsgewässern. Solange kein Erdgas aus niedersächsischen Gebieten gefördert wird, braucht es auch keine Genehmigung von Niedersachsen (NDR, 10.03.2022). Vermutlich würde eine Genehmigung aus Niedersachsen zur Förderung inklusive Planfeststellungsverfahren über 2024 hinaus dauern. Leider habe ich keine belastenden Zahlen gefunden, wie lange eine Genehmigung zur Förderung von Erdgas in Deutschland dauern würde.
Ich möchte gerne auch auf die Umweltproblematik eingehen. Wer schon einmal auf den norddeutschen Inseln oder den niederländischen Inseln in der Nordsee war, weiß, dass es wirklich eine tolle Natur ist. Die Menschen dort sind auch sehr bedacht drauf, dass diese Natur möglichst wenig berührt wird. Und das ist gut so. Ich wünsche mir dennoch mehr Vertrauen in die Unternehmen und die Behörden, die dort gemeinsam etwas für das gesellschaftliche Gemeinwohl tun wollen. Ich gehe grundsätzlich zuerst davon aus, dass sowohl das Unternehmen ONE-Dyas, als auch niederländische und deutsche Behörden wissen, dass mit solch einem Vorhaben viel auf dem Spiel steht für die Natur, aber auch für die Menschen, die auf den Inseln leben. Nicht umsonst hat die niedersächsische Regierung die Ausbeutung des Gasfeldes noch 2021 parteiübergreifend vehement abgelehnt (NDR, 10.03.2022). Meiner Meinung nach braucht es eine meinungsoffene und ideologiefreie Bewertung, wie sinnvoll und gerechtfertigt die Ausbeutung des Gasfeldes ist und ob man dies der Natur zumuten kann. Schafft man dies unter minimalsten Auswirkungen auf die Natur? Wie stellt man sicher, dass während der gesamten Förderperiode kein unnötiger Schaden an der Natur entsteht? Ist es gesichert, dass sich die Natur vollkommen von den Eingriffen erholen kann? Wird der Nationalpark Wattenmeer unbeschädigt bleiben? Ist die Fördermenge ausreichend, um dieses Vorhaben zu rechtfertigen?
Bei Beantwortung dieser Fragen finde ich es wichtig, dass man nicht Anliegen der Natur, gesellschaftliche Interessen, wirtschaftliche Interessen und außenpolitische Interessen (Reduktion Abhängigkeit von Russland) gegeneinander ausspielt sondern in Einklang bringt. Zum Beispiel: Es bringt meiner Meinung nach nichts, wenn man aufgrund guter Gewinnaussichten „auf Teufel komm raus“ das Gasfeld ausbeuten möchte und sich dadurch länger von Gas abhängig macht und dort die Natur beschädigt. Andererseits bringt es meiner Meinung nach nichts, gegen jedes Projekt zur Energiegewinnung zu sein wegen kleiner Eingriffe in die Natur, wenn dabei rauskommt, dass wir immer weiter von Staaten wie Russland oder Qatar abhängig sein werden. Denn solchen Staaten sind Eingriffe in die Natur egal welchen Ausmaßes völlig egal.
Ich vertraue darauf, dass wir das Know-How und die Technologie in Europa haben um solche Vorhaben umzusetzen. Außerdem vertraue ich darauf, dass wir in der Lage sind Mechanismen und Kontrollen zu schaffen, die sicherstellen, dass solche Vorhaben gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch gerechtfertigt sind. Dabei ist die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen absolut notwendig. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass diese weniger genau und streng im Hinblick auf ökologische Interessen sein dürfen.
Unser Ziel sollte grundsätzlich sein: Weniger Abhängigkeit von Erdgas und anderen fossilen Energieträgern. Für mich folgt daraus die Reduktion der Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern.
Aber: Es führt aktuell kein Weg vorbei an Gas als Übergangsenergieträger für die Energiewende. Die Gründe sind vielschichtig. Einen guten Überblick liefert der BDEW mit diesem Artikel.
Fazit
Für mich erscheint das Potenzial dieses Gasfeldes nicht besonders groß. Allerdings klingen 2% weniger Gas aus Russland auch nicht schlecht. Ich habe dennoch Bedenken, ob dieses Vorhaben ökologisch, gesellschaftlich und ökonomisch sinnvoll ist.
Meine Meinung dazu ist: Ich glaube wir müssen uns als Gesellschaft damit abfinden, dass wir noch eine Zeit lang Gas aus für uns kritischen Staaten beziehen. Ich glaube, dass der Zeithorizont dieses Projekts (inklusive Genehmigung der Ausbeutung des gesamten Gasfeldes) zu groß ist. Ich finde, wir sollten uns auf modernere Technologien konzentrieren um Energie aus Sonne, Wind und diversen weiteren erneuerbaren Energien zu speichern. Darüberhinaus sollten wir den Netzausbau beschleunigen und die Errichtung von Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie mehr fördern. Langfristig müssen wir weg von fossilen Energieträgern und wir brauchen mehr Diversität bei der Energiegewinnung, Speicherung und Verteilung.
Die Ausbeutung des Gasfeldes vor Borkum empfinde ich salopp gesagt als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Disclaimer:
Ich schreibe hier größtenteils meine Meinung. Man kann aber anderer Meinung sein und ich freue mich sehr über andere Meinungen. Nur so hat man einen breiten Diskurs. Falls ich einen Fakt darlege, versuche ich immer diesen mit Links zu untermauern. Falls mich jemand widerlegt und bessere Fakten hat bitte ich um den Verweis darauf. Auch das ist mir enorm wichtig. Ich recherchiere hier in meiner knappen Freizeit und kann nicht alles wissen und richtig machen.
Ich würde mich über rege Beteiligung und fairen Austausch freuen.